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Nachlese: Berufsbildung 4.0

Passend zur Vorschau (https://andreahartenfeller.wordpress.com/2016/03/10/vorschau-berufsbildung-4-0/) gibt es heute die Nachlese zur Veranstaltung am vergangenen Freitag.
Wer mir bei Twitter folgt, hat sicher schon festgestellt, dass ich im Laufe des Tages immer kritischer wurde. Aber der Reihe nach.

Der Saal war schon bei meinem Eintreffen eine Viertelstunde vor dem offiziellen Beginn gut gefüllt, und tatsächlich waren dann auch alle Stühle besetzt. Das Thema Ausbildung und Industrie 4.0 ist es wert, näher beleuchtet zu werden.
Das Verhältnis Männer zu Frauen im Publikum war etwa 70:30. Bei den Rednern allerdings gab es keine einzige Frau. Ob man keine gefunden hat, oder ob man von vorneherein nicht gesucht hat, darüber kann ich nur spekulieren, das wäre Kaffeesatzleserei. Aber schade fand ich es doch, dass auch diese Veranstaltung sich einreiht in eine lange Liste von Veranstaltungen, bei denen von einer Balance diesbezüglich nichts zu sehen ist. Wer glaubt, das sei eine Ausnahme, kann mal hier schauen: https://50prozent.speakerinnen.org/

Alle Vorträge standen mit einer Dauer von 30 Minuten im Programm. Da später begonnen wurde, „hingen“ wir zeitlich schon beim ersten Vortrag hinterher.
Die Frage von Dr. Zinke vom BIBB war, ob die Berufsausbildung auf „Industrie 4.0“ vorbereitet sei. Dass sich Berufe schon vor der Digitalisierung änderten und ändern mussten, wurde am Beispiel der CNC-Technik erläutert. Viele Unternehmen beschäftigen sich nicht ausreichend mit der Frage, ob sie noch „passend“ ausbilden bzw. welche Kompetenzen die Mitarbeiter brauchen und wie diese Kompetenzen geprüft und bewertet werden. Gefragt seien Ausbildungsmodelle, die flexibel auf Anforderungen eingehen können – manchmal sind die Ausbildungsordnungen da aber zu starr und müssten geändert werden. Besonders spannend fand ich die Frage, ob die Prüfungen dem entsprechen, was in Betrieben gefordert ist und vor allem, ob wir in der Ausbildung auf die Prüfung vorbereiten oder aufs Berufsleben. Ein wichtiger Punkt war außerdem die Weiterqualifzierung der betrieblichen Ausbilder, sowohl fachlich als auch didaktisch, damit der Kontakt zur betrieblichen Praxis nicht verloren geht.

Im zweiten Vortrag brachte Prof. Dr. Schocke Leben in die Bude, indem er gleich zu Beginn sagte, er habe sicher zu viele Folien und würde dafür dann schneller reden. Das tat er dann auch und blickte hinter die „pseudopositiven Meldungen“ zu Industrie 4.0. Es sei nicht so, dass wir uns ganz plötzlich verändern müssten und alles sofort anders würde, und auch die von manchen Medien mit der Digitalisierung verbundenen hohen Umsatzsteigerungen sehe er nicht. Steigerungen der Produktivität kommen nicht durch noch mehr Automatisierung, sondern durch intelligentere Zusammenarbeit von Systemen. Dazu braucht es weiterhin Menschen. Um den Bogen zur Ausbildung zu schlagen, erzählte er Anekdoten von seinen Studenten und betonte, wie wichtig es sei, dass wir die Studenten (und Azubis) begeistern. Praxisorientierte Aufgaben stehen im Mittelpunkt, und trotz Digitalisierung kommt auch das Anfassen nicht zu kurz, z.B. im Logistiklabor am Frankfurter HOLM.

In der dann folgenden Kaffeepause wäre sicher Gelegenheit zum Netzwerken gewesen, allerdings war die Zahl derjenigen, die sich mit Menschen unterhalten wollten, die sie noch nicht kannten, sehr überschaubar. An dieser Stelle aber noch einmal ein Dankeschön an die Kollegin, die mir von aktuellen Herausforderungen in ihrer Beratungsstelle erzählte.

Nach der Pause ging es weiter mit einem Vortrag zu einem neu zu schaffenden Ausbildungsberuf, den E-Commerce-Kaufleuten. Herr Groß-Albenhausen vom bevh berichtete unaufgeregt und fundiert von den Überlegungen des Verbandes, diesen neuen Beruf zu etablieren. Sein Fazit: 25 Jahre nach Eröffnung des ersten Onlineshops in Deutschland gäbe es dann auch mal den dazu passenden Beruf. Der ihm folgende Sprecher, Dr. Stoll, ließ es sich nicht nehmen, ihm direkt mal zu widersprechen, in seinem Vortrag zur Digitalisierung im Einzelhandel, und meinte, der neue Ausbildungsberuf sei eigentlich gar nicht nötig. Hätte er etwas weniger Werbung für sich als Person gemacht, wäre mehr Zeit für sein eigentliches Thema gewesen, aber da sich bis zu diesem Zeitpunkt niemand mehr an irgendwelche Zeitpläne hielt, fiel das auch nicht mehr groß ins Gewicht. Interessant fand ich, dass er sagte, „Deals“ wie z.B. von Groupon angeboten, würde im Handel nicht funktionieren, eher bei Dienstleistungen.

Herr Bole von der VDW Nachwuchsstiftung sprach über Digitalisierung in der Produktion und beschrieb eine Exzellenzinitiative in der Werkzeugmaschinenbranche. Wichtig ist aus seiner Sicht die Einbeziehung der Lehrer, sowohl an allgemein- als auch an berufsbildenden Schulen.

Dann folgte, mit großer Verspätung, die Mittagspause. Es gab belegte Brötchen und dann ging es nach 20 Minuten auch schon weiter mit dem Thema „Brennpunkt Berufsschule“. Herr Urhahne aus Brakel hielt einen sehr gut vorbereiteten Vortrag über berufliche Kompetenzen und darüber, wie seine Berufsschule versucht, sich immer wieder zu wandeln und das Systemwissen als Anforderung von Industrie 4.0 in den Unterricht hineinzubringen. Seiner Ansicht nach funktioniert die Digitalisierung in der Berufsschule nur in Zusammenarbeit mit den ausbildenden Betrieben, und so macht seine Schule regelmäßig Projekte, bei denen die Ausbilder aus den Betrieben mit in die Schule kommen. Eine zeitliche und fachliche Punktlandung, hat mir sehr gut gefallen.

Sehr engagiert sprach dann Herr Härtel vom BIBB über „Train the trainer“ und Medienkompetenz von Ausbildern. Leider nicht nur engagiert, sondern auch doppelt so lang wie geplant, nämlich fast eine Stunde. Dass die Tätigkeit eines Ausbilders aufgrund der vielen Einzelanforderungen (Hardwareexperte, Softwareexperte, Mediengestalter, Social Media Experte etc.) heute nicht mehr „banal“ sei und dass die Jugendlichen auch heute noch montags müde seien und sie freitags nur noch aufs Wochenende freuten, zog sich trotz der sichtbaren Begeisterung des Redners doch sehr in die Länge. Schade, da wurde einiges verschenkt.

Herr Wiest, der danach über E-Learning sprechen sollte, hatte die undankbare Aufgabe, in der Zeit der Kaffeepause reden zu müssen. Die Pause wurde zwar nach hinten geschoben, aber man merkte dem Publikum doch an, dass eine gewisse Unruhe herrschte. Trotzdem war Herr Wiest absolut souverän und blieb in der Zeit. Im Grunde mache jeder schon regelmäßg E-Learning, nur sei es mal mehr, mal weniger sinnvoll und nachhaltig. Bei manchen Themen reiche das bloße Lernen auch nicht, es müsse auch trainiert werden. Als Beispiel nannte er das Thema Zeitmanagement. Er empfahl, als Unternehmen zum Start von E-Learning-Aktivitäten zunächst mit einem kleinen Projekt zu beginnen und das auch abzuschließen, anstatt eine großes Konzept zu schreiben, das dann nie umgesetzt wird.

Nach der Kaffeepause berichtete Herr Postel von der Handwerkskammer Münster über „BIM im Handwerk“, gefolgt von einer Podiumsdiskussion, bei der alle Redner noch einmal auf die Bühne kamen. Ich gebe zu, dass ich zu diesem Zeitpunkt bereits weitgehend abgeschaltet hatte und meine Notizen es nicht weiter wert sind, hier geteilt zu werden.

Mein Fazit der Veranstaltung: es gab einige wenige gute Impulse, sehr viel heiße Luft, sehr viele völlig überladene Folien (und auch zu viele. Wenn ich 30 Minuten Zeit habe, sind 30 oder mehr Folien schlicht unpassend. Isso.) und kein sichtbares Zeitmanagement seitens Veranstalter oder Moderator. Dass manche im Publikum den Moderator schlicht ignorierten und untereinander weiter redeten, während der nächste Redner angekündigt wurde, habe ich so auch noch nicht erlebt und empfand ich als störend.
Ich hatte mir nach der Ankündigung der Veranstaltung einiges versprochen, aber leider wurden meine Erwartungen ziemlich enttäuscht. Dass ich bis zum Ende geblieben bin, ist meinem großen Optimismus geschuldet, und es gab ja auch ein paar Redner, die mich überzeugt haben.

Trotzdem werde ich mir gut überlegen, ob ich wieder eine Veranstaltung dieser Art besuchen werde.

Eine kleine Anmerkung noch zum Thema Präsenz von Frauen. Am Samstag besuchte ich eine Fortbildung im Rahmen des BKrFQG (Gesetz über die Grundqualifikation und Weiterbildung der Fahrer bestimmter Kraftfahrzeuge für den Güterkraft- oder Personenverkehr, ich liebe dieses Ungetüm) und da war mir eigentlich vorher klar, dass der Frauenanteil gering sein würde. Die Kursleiterin war über meine Anwesenheit erfreut und sagte, es sei das erste Mal überhaupt, dass sie nicht die einzige Frau im Kurs sei. Lasterfahrende Frauen sind auch im Jahr 2016 noch selten. Ausbildende Frauen jedoch nicht – es wäre schön, wenn sich diese Tatsache auch bei Veranstaltungen zum Thema Ausbildung künftig zeigen würde.

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