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Abenteuer Personalauswahl

Personalern und vor allem Recruitern wird ja eine Menge darüber nachgesagt, was sie so den lieben langen Tag tun. Das liegt einerseits am mangelnden Wissen darüber, was die Tätigkeiten beinhalten, und andererseits vermutlich auch daran, dass jemand, der anscheinend viel Macht hat, weil er die mühselig geschriebene Bewerbung mit einem schlichten „Nein, danke“ zurückschicken kann, dass dieser jemand mit Eigenschaften und Verhaltensmustern ausgestattet wird, die halt gerade zum erlebten Frust passen und weniger zur Realität.

Eine Sorge, die immer wieder durch Bewerberköpfe spukt, ist, dass Recruiter hergehen und überall im Internet nach dem Bewerber stöbern, dass sie schauen, was er so auf Xing treibt, bei Facebook, auf welchen Partys er war, welches Lieblingsessen er bei Instragram so postet, und so weiter. Meiner Erfahrung nach passiert das seltener als befürchtet, und selbst wenn jemand einen Namen in eine Suchmaschine eingibt, lässt sich seine Interpretation der Suchergebnisse überhaupt nicht beeinflussen. Wenn ich also über einen Bewerber im Netz suchen und finden sollte, dass er Marathon läuft, gerne liest und Musik von Katzenjammer mag, kann ich das positiv interpretieren und sagen, hey, prima, der Mensch ist sportlich und achtet auf sich, der beherrscht simple Kulturtechniken (lesen) und Katzenjammer mag ich auch. Oder ich kann es negativ interpretieren und sagen, nee, Marathon, das heißt ja, der Mensch trainiert ständig, da ist er dann bestimmt total k.o., wenn er zur Arbeit kommt, und überhaupt, wie kann man sich nur so kasteien, und Lesen ist ja auch eher eine individuelle Sache, also ist der Mensch vielleicht kein Teamplayer und lieber für sich, und Katzenjammer finde ich total doof.

Mein pragmatischer Ansatz dazu ist, dass es zwar hilfreich ist, wenn ich weiß, was im Netz über mich zu finden ist, dass ich mich aber nicht verrückt machen lassen sollte, sondern mich lieber darauf konzentrieren, dass die Informationen, die ich im Rahmen einer Bewerbung schicke, gut und stimmig sind.

Und dann las ich dieser Tage folgende Meldung: „Die Persönlichkeit per Social Media erfassen“ [http://www.haufe.de/personal/hr-management/personalauswahl-persoenlichkeit-per-social-media-erfassen_80_159660.html] und fand einen kurzen Artikel, in dem ein Forschungsprojekt beschrieben ist, das eine Software entwickelt, mit deren Hilfe man bei der Personalauswahl die Charaktereigenschaften (sic!) eines Bewerbers aufgrund seiner Aktivitäten in Social Media prüfen kann.

Ich gebe zu, ich fiel fast vom Stuhl. Ich las die Meldung, ich suchte den „Achtung, Satire!“-Button, ich wusste, es kann noch nicht der 1. April sein, es muss also ernst gemeint sein, aber irgendwie kann ich das alles noch nicht glauben. Wahrscheinlich habe ich es auch einfach nicht verstanden?

Ich bin übrigens eine Eigenbrötlerin, und zwar durch und durch, denn wie ich in der Meldung las, gilt man als Eigenbrötler, wenn man nur wenige Freunde auf Facebook hat. Nun bin ich aber gar nicht auf Facebook, die Zahl meiner Facebookfreunde ist also gleich null. Was sagt das über mich? Und vor allem, was sagt es über meine Eignung für einen Job? Vor kurzem bloggte ich über den Kloutscore und stellte dabei ähnliche Fragen. Ich finde es einfach bedenklich, Eigenschaften von Menschen aus ihrem Tun oder Lassen im Netz herauslesen zu wollen, und das auch noch als realistische Möglichkeit zu verbreiten.

Natürlich lässt niemand seine Persönlichkeit zuhause, wenn er sich im Netz bewegt, und meine Erfahrung im privaten Bereich ist durchaus, dass ich mich mit den meisten Leuten, die ich im Netz nett oder sympathisch finde, auch „live“ gut verstehe, aber daraus eine Passung für einen Job bzw. zu einer Unternehmenskultur herzuleiten, finde ich doch eher abenteuerlich.
Vielleicht tue ich den Forschenden Unrecht. Es täte mir leid. Doch die Aussagen in dieser kurzen Meldung ergeben so, wie sie dort stehen, keinen Sinn für eine professionelle Personalauswahl. Und noch schlimmer, sie machen nur wieder Angst vor diesen großen Unbekannten, die irgendwo sitzen und mit dem schlichen „Nein, danke“ Bewerbungen ablehnen. Und das sollte doch nicht das Ziel sein. Arbeitgeber brauchen gute und passende Leute, Arbeitnehmer wollen ihr Können und Wissen bei einem passenden Arbeitgeber einsetzen, und die große Kunst ist es, die jeweils Richtigen zusammenzubringen. Das geht nur transparent, ehrlich und professionell, nicht per Kaffeesatzleserei, Schriftprobe, Nasenlängenmessung oder Facebookaktivitätsprüfung.

Finde ich zumindest, und freue mich auf Kommentare.

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Blogger im Visier

Ein Kommentar eines “HR Verantwortlichen” erregt heute die Gemüter. Zu finden ist der Kommentar gleich als erster hier in diesem Blog: http://www.bewerberblog.de/2012/12/heikle-fragen-im-vorstellungsgesprach-warum-haben-sie-ihr-studium-abgebrochen/
und zum Stein (oder vielmehr zum großen Geröllhaufen) des Anstoßes haben sich auch schon einige Blogger geäußert:
http://madlication.wordpress.com/2013/01/08/schubladendenken-die-bosen-blogger/

http://www.vorstadtprinzessin.com/wir-blogger-sind-arbeitsunfahig/5309/

http://buntepixel.org/2013/01/09/menschen-mit-mehr-als-1000-freunde-auf-facebook-kriegen-keine-jobs/

Dieser Herr W., seines Zeichens “HR Verantwortlicher in einem mittelständischen Betrieb“, hat sich ziemlich in die Nesseln gesetzt mit seinen Äußerungen, und ich hoffe inständig, dass der „Kollege“ in Wahrheit ein Fake ist. So unprofessionell sollte kein Personaler auftreten. Wenn er kein Fake sein sollte, dann wünsche ich ihm ein großes persönliches Personalentwicklungsbudget und die Möglichkeit, sich ein wenig weiterzubilden im Employer Branding, Allgemeinem Gleichbehandlungsgesetz, Soziale Medien und Menschenverstand.

Niemand ist perfekt, jeder macht Fehler, aber in so große Fettnäpfchen muss man wahrlich nicht hüpfen.

Schauen wir uns aber mal das möglicherweise zugrundeliegende Problem oder die Angst des Herrn W. Genauer an. Nicht nur, dass facebookende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Geheimnisse ausplaudern könnten und die vom Unternehmen gebuchte Bandbreite fürs schnelle oder auch langsame Internet zu sehr ausnutzen, nein, diese Menschen arbeiten nicht in der Zeit, in der sie facebooken. Oder noch schlimmer, bloggen. Und als Arbeitgeber ist man ja generell daran interessiert, dass die Menschen während ihrer Arbeitszeit arbeiten und nicht eben irgendetwas anderes tun, was immer das auch sein mag.
Ich möchte jetzt gar nicht über die Jobs reden, bei denen Facebook & Co. Teil der Arbeit sein könnte, das ist wieder ein anderes Thema.

Aber ich stelle die Frage in den Raum, ob exzessive private Nutzung von Social Media während der Arbeitszeit das Problem an sich ist, oder vielmehr ein Symptom für ganz andere Probleme. Die Arbeit zu vernachlässigen ist nicht in Ordnung. Jemandem, der mehr im Netz surft als zu arbeiten, den Internetzugang zu sperren, kann eine Lösung sein, oft ist es aber keine. Meine Erfahrung mit diesen Situationen ist, dass es sich lohnt, beim jeweiligen Mitarbeiter einmal ganz genau hinzuschauen, was er macht, wann er es macht, wie er es macht, und vor allem, wie es ihm geht. Es kommt einfach zu oft vor, dass Mitarbeiter aus lauter Langeweile, Ärger oder Frust die Flucht ins Netz antreten, und lieber dort die Zeit verdaddeln, als ihre eigentliche Arbeit zu machen. Wenn das der Fall ist, dann muss sich die verantwortliche Führungskraft und auch HR der Sache annehmen. Wer vorsätzlich unternehmensinterne Regeln zur Privatnutzung verletzt, muss mit entsprechenden Konsequenzen rechnen. Wenn der Holzhammer des Verbots und der Sperre sein muss, muss er sein. Aber da die Welt selten nur schwarz-weiß ist, sollten wir erst denken und reden, bevor wir die alleinige Schuld bei Onlinenetzwerken und dem faulen Mitarbeiter suchen.

Es gibt einige Bereiche, die man sich näher anschauen kann, wenn man Sorge hat, dass Informationen herausgegeben werden, die man lieber für sich behalten hätte, und auch wenn man die Mitarbeiter dazu anhalten möchte, eben nicht ständig herumzudaddeln:
* Die Regelungen zur Internetnutzung im Unternehmen: gibt es sie, und wenn ja, wie wird die Einhaltung überprüft? Sind die Regeln zeitgemäß? Passen die Regeln zu allen Arbeitsfeldern? Müssen sie ggf. angepasst werden?
* Gibt es Regeln zum Umgang mit Onlinenetzwerken im Unternehmen? Ist den Mitarbeitern bekannt, welche Informationen sie dort preisgeben dürfen? Wie wird die Einhaltung dieser Regeln überprüft? Wie wird sichergestellt, dass alle Mitarbeiter die Regeln auch kennen?
* Welche Regeln existieren allgemein zum Umgang mit Informationsweitergabe? Kennen die Mitarbeiter die Schwachstellen, die gewiefte Informationssammler ausnutzen? Soziale Netzwerke sind da nur eine Möglichkeit.
* Wenn im Unternehmen eigene Endgeräte („Bring your own device“) genutzt werden dürfen, wie sind die Regeln dazu, und kennen die Mitarbeiter die Sicherheitsrisiken, und wie sie damit umgehen müssen?
* Wissen die Führungskräfte, was in ihrem Team gerade los ist? Wissen sie, wem es gut geht, wer Probleme hat, wem langweilig ist? Haben sie die Möglichkeit, daran etwas zu ändern? Kennen sie die Unterstützungsmöglichkeiten durch HR? Gibt es diese überhaupt?
* Wissen die Mitarbeiter, an wen sie sich wenden können, wenn es in ihrem Arbeitsbereich „knirscht“? Oder müssen sie befürchten, als Faulenzer oder Schwächling oder Quertreiber abgestempelt zu werden?

Bleibt bei all diesen Themen die alte Frage, was zuerst da war, die Henne oder das Ei? Jeder, der schon einmal im Schulunterricht lieber ein Buch gelesen als sich auf den Stoff konzentriert hat, weiß, dass diese Frage nicht so leicht zu beantworten ist. Ich weiß die Antwort heute jedenfalls nicht, freue mich aber über alle Denkanstöße und Kommentare.

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